BLITZGESCHEIT, AUS KOLDENBÜTTEL
Theatermonolog. Das Leben der Anna Ovena (1684-1655)
In: Zwischen Fuß und Tag, Biografisches Theater, edition Smidt, 2005
Lesung mit Elisabeth Ebeling und Gisela Zies, Charlottenburg, 2003
Textprobe:
ANNA: Caspar, bist du das? Holst du mich in die Stadt? Fahr mich doch noch einmal in meiner Lieblingsschubkarre über die Sittwicker Wiesen! Bis zum Vogelbeerbaum, den ich vor Jahren gepflanzt habe! - Was für ein Bild: eine kleinen dürre Alte im Sonntagsstaat in einer Schubkarre als führe sie in einer Königskutsche! Dankeschön, Caspar. Ist das der Vogelbeerbaum? Sei so lieb und pflück mir ein paar Quietschebeeren, ich möchte sie in meiner Hand zermatschen. Ich mag es, wenn der Saft zwischen meinen Fingern zu Boden tropft. Wirst du wohl gehorchen! Und kipp die Karre zur Seite, damit ich mich setzen kann! Ja! So! Und nun lass mich allein! - Der Wind streicht über meine Haut. Meine Nase nimm sich eine Prise Meersalz, wird spitz und sticht nach Erinnerungen, bringt mich zum Lachen. Das ist der Abschied! Hinter mir ein Weg, auf dem so viel schon zurückblieb: Augenschärfe, Fleischesfülle, Gelenkigkeit. Ach wie klein ich doch geworden bin! Und so dünn! Bald wird es heißen: Erde zu Erde, Sand zu Sand! Ich dagegen sage: Licht zu Licht! Auch wenn meine Augen nicht mehr gut sehen, meine Ohren nicht mehr gut hören, Nase und Zunge riechen, lecken und schmecken noch, lecken und schmecken Wirklichkeit. Wenn die noch so fern wäre von mir, uns ich keine Vögel, keine ihrer Melodien mehr hören könnte, nur noch Flirren und Wispern, wenn ich keine Umrisse mehr sehen könnte, mich Farben und Konturen nur noch wie hingetupft erreichten, wäre das trotzdem noch Wirklichkeit. Meine Wirklichkeit! Aus Lichtgeflitter, Tupfern von Grün, Rot, Blau, schwirrendem Atem, wilden Wirbeln von vielerlei Gewürz ... und Riesenschlucken vom Quietschebeerensaft!
MIT KERZENRUSS AUF ZUCKERPAPIER
Theaterdialog zwischen Leonora Ulfeldt (1606-1698) und ihrer Gegenspielerin Sophia von Braunschweig (1629-1685), Ehefrau des dänischen Königs Friedrich III.
In: Zwischen Fuß und Tag, Biografisches Theater, edition Smidt, 2005
Lesung mit Friedhelm Ptok und Felicitas Kirchgässner, Galerie Holtzmann, Berlin 2002
Personen:
SOFFI und LENA: als Leonora, Korfitz, Sophia, Leutnant Walter, Diana, seine Geliebte, und Maren, eine der Jungfern, die Leonora im Gefängnis dienten
Inhalt:
Leonora Ulfeldt, Tochter des dänischen Königs Christian IV, war die Ehefrau des Reichshofmeisters Korfitz Ulfeldt. Als angebliche Mitwisserin staatsfeindlicher Tätigkeiten ihres Mannes hielt der König sie im Blauen Turm, dem Gefängnisturm am Schloss in Kopenhagen, gefangen. Leonora war von der Unschuld ihres Mannes überzeugt und blieb ihm bis über seinen Tod (in Freiheit, auf einem Rheinschiff) treu. Zwanzig Jahre dauerte die Haft, während der sie ihre Memoiren schrieb und Biografien berühmter Frauen sammelte. Ihren Lebensabend durfte sie in einem Kloster verbringen. Dort veranstaltete sie gesellige Abende mit Konzerten und Aufführungen eigener Komödien. Ihr Buch Jammers Minde ging in die Literaturgeschichte ein.
Textprobe:
LENA: Ich schwöre bei Gott!
SOFFI: Das kostet nichts!
LENA: Weißt du, was es kostet, ansehen zu müssen, wie man das Urteil an einer Holzfigur vollzieht, die dem geliebten Mann ähnlich sieht? Meine Jungfer schrie: «Jesus, da bringen sie Euren Mann!» Am nächsten Tag wurde das Bild vom Scharfrichter auf das Jämmerlichste gepeinigt, zuerst schlug er den Kopf ab, dann teilte er den Rumpf in vier Teile und legte sie auf vier Räder, die er an einen Galgen hing. Den Kopf nagelt man ans Rathaus. Der Schlossvogt kam und sagte: «Nun seid ihr Witwe!» ... Ach, Korfitzelchen, was gäbe ich für ein letztes Einschmiegen in dein Fleisch!
SOFFI: Nimm deine Klumpatschen von mir weg!
LENA: Was gäbe ich für unser altes Spiel: wer stand hält oder nicht, wer klein beigibt oder nicht!
SOFFI: Wach auf!
LENA: Tagelang war ich so schwach, dass ich nur noch auf meinem Bett lag und schwieg. Dann tröstete mich der Gedanke, dass das Ganze vielleicht ein Zeichen dafür war, dass man dich noch nicht gefangen hatte.
SOFFI: Aufwachen, Knotterdippche! Ich bin nicht dein Fitzelchen, deine Feindin bin ich!
Textprobe:
SOFFI: Igitt! Rosa Strümpfe!
LENA: Du wolltest dich einfühlen in mich!
SOFFI: In Rosa?
LENA: In Schwarz! Hunderte von Flöhen saßen satt und fett auf meinen Beinen, bis kein Rosa mehr zu sehen war!
SOFFI: Hilfe! Mein Rückgrat bricht! Meine Arme fallen zu Boden!
LENA: Sie liebkosen deine rosafarbenen Beine!
SOFFI: Halt’ mich fest!
LENA: Es ist das Gift, das dein Leben war, das jetzt wirkt!
SOFFI: Ich höre Hähergelächter!
LENA: Ja, Sophia!
SOFFI: Glocken!
LENA: Ja, Sophia!
SOFFI: Und Wasser, das lärmend über Kiesel springt, dass es klingt wie, wie /
LENA: / Musik flinker Finge auf granitenen Tasten!
SOFFI: Mein Kopf sinkt auf die Arme, meine Krone rollt bergab, ich ertrinke!
LENA: In der Sieber!
SOFFI: In der Sieber? Ach!
LENA: Ach, Soffi, du Dummchen! Wach auf!