Gisela Zies

Hörfunk


Illustration zum Text Der Kuss des Krötenamnnes von Gisela Zies, Berlin

DER KUSS DES KRÖTENMANNES

Porträt des Biologen Paul Kammerer (1881-1926)

Produktion: WDR, 2000
Redaktion: Gisela Corves
Regie: Klaus-Peter Pittrich
Mit: Lieselotte Rau, Michael Evers, Gunter Schoß
Musik: Gustav Mahler
Lesung: Akademie der Wissenschaften,
mit Viola Morlinghaus und Gisela Zies, 1998

Text in: Zwischen Fuß und Tag, Biografisches Theater, edition Smidt, 2005

Textprobe:

MUTTER: Dreiundzwanzigster September.
PAUL: Ein Tag wie angehaltener Atem. Durchsonnte Herbststunden schlafen ihren Farbenrausch aus. Gestein und Erde verströmen kräftigen Geruch. Zur einen Seite des Pfads, im Schatten, Kalkfelsen, überzogen von Moos: grünes Frauenhaar mit dem Goldschmuck seiner Samenkapseln.
MUTTER: Seit Stunden wandert, rutscht, klettert Paul durchs Gebirge.
VATER: Dort, wo die Alpen vor Wien ihre letzten Schlenker machen. Schneeberg heißt die Stelle.
PAUL: Ich bin müde.
MUTTER: Ein Vorsprung lädt zum Ausruhen ein.
PAUL: Ich setze mich, lehne meinen Rücken gegen die Felswand, greife in meine Westentasche, fühle den Abschiedsbrief: «Ich vermache den Herren Kollegen von der Universität meinen Leichnam, vielleicht finden sie dann in meinem Hirn eine Spur dessen, was sie an Äußerungen meines lebendigen Geistes vermissten.»
VATER: Das ist unerträglich!
MUTTER: Ich finde das Post Scriptum schlimmer: «Meine Frau soll keine Zeichen der Trauer tragen!»
VATER: Ich sehe es genau vor mir, er zieht seine Pistole unterm Mantel hervor, hält sie hoch, sein linker Arm legt sich unten rum, als wollte er sich umarmen, so den rechten Arm stützend.
PAUL: Ich neige meinen Kopf, drücke den Pistolenlauf gegen die Schläfe.
VATER: Peng!
PAUL: Weiße Körperchen überschwemmen in Panik jedes Rot, meine Gefühle fliehen, retten sich in die Spitzen der Nerven, die ein letztes Mal zu denken versuchen.
VATER: Zu spät!
PAUL: Meine Gehirnzellen tanzen, brechen aus in eine ungeordnete Welt.
MUTTER: Paul sinkt in sich zusammen, seine Arme fallen nach unten, die Pistole bleibt in seiner Hand, aus seiner Schläfe tropft Blut, aus seinem Körper strömt Wärme.
VATER: Sein Geist, seine Seele, sein Ich verhauchen!
PAUL: Ich höre /
MUTTER: / was?
PAUL: / ein Klavier!
MUTTER: Die Noten habe ich dir zu deinem siebten Geburtstag geschenkt, du warst ein musikalisches Wunderkind!

 

Illustration zum Text Schwirrholzvon Gisela Zies, Berlin

DAS SCHWIRRHOLZ oder
DER ZU BRANDSCHEITEN ZERSPALTENE BAUM

Produktion: NDR UND DS-KULTUR, 1993
Regie: Barbara Plensat
Es sprachen: Jutta Wachowiak, Simone v. Zyglinicki, Gunter Schoß und Greger Hansen, der die Zeilen aus den Gedichten von Paul Celan (Niemandsrose, Sprachgitter) sprach
Es musizierten und schwirrten: Dietrich Petzold, Tobias Dutschke, Simon Jakob Drees

Inhalt:

Die Frauen Viola und Violine und der Mann Cello versuchen, sich einem geheimnisvollen Gegenstand zu nähern. Die jüngere Frau ist neugierig und verspielt, die ältere hat poetische Phantasie, der Mann doziert. Das Objekt ihrer geistigen Begierde ist ein Stück Holz, das zu den ältesten Kultgegenständen der Welt gehört. Es gehörte weltweit zu den Initiations- und Beschneidungs-Ritualen und sollte den jungen Männer Angst machen, sie die Stimmen der Ahnen hören lassen, bevor man sie in die Mythen der Vorfahren einführte. Frauen waren bei Androhung der Todesstrafe zu diesen Ritualen nicht zugelassen. Wie die Zeiger einer Uhr deuten Schwirrhölzer in eine Zeit zurück, in der die Menschen mit einem unscheinbaren Denkwerkzeug ein Fenster im Haus Natur aufstießen und auf das weite Feld Kultur hinausschauten.

Textprobe:

VIOLINE: In großer Stille höre ich, wie fallende Blätter am Boden detonieren. In großer Stille höre ich /
VIOLA: Machet euch krumm, das Schwirrholz fliegt rum!
VIOLINE: / wie sich die Finger vom Wilden Wein in die Hauswand krallen. In großer Stille höre ich, wie Schmetterlingsflügel vertrocknen.
VOLA: Wer sich ängstigt oder lacht, dem wird das Schwänzchen abgemacht! Haltet fein still, man schneidet nicht viel! Etwas Blut tut euch gut! Ich bin der Geist, der vom Himmel schreit!
CELLO: Ich habe Nachforschungen angestellt!
VIOLINE: Einmal, an einem kalten Wintertag, sammelte ich im Wald Rindenstücke. Eins war dabei, das besonders gleichmäßig geformt war. Ich nahm ein Messer und folgte der vorgeschlagenen Form. Meine Vertrautheit mit dem Gegenstand, scheinbar ohne Nutzen, nahm zu.
CELLO: Ich habe Nachforschungen angestellt!
VIOLINE: Am nächsten Tag war mir, als kennte ich das Ding aus lang vergangener Zeit, ich band einen Faden um das breitere Ende und hängte es unter mein Küchenbord neben Schaukelle, Sieb und Reibe.
VIOLA: Da hängt nichts! Du hast die Geschichte erfunden!
CELLO: Ich habe Nachforschungen angestellt!


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