Gisela Zies

Theaterstücke


Alle folgenden Stücke sind fertige Fassungen. Doch einige von ihnen, vor allem die älteren, betrachte ich als Spiel-Material, Erstfassungen, noch offen für eine abschließende Bearbeitung durch mich. Copyright bei Gisela Zies. Anfragen bitte an: ziesgis@gmx.de oder: 030/8247519

 

Illustration zum Biografischen Theater - Gisela Zies, Berlin

ZWISCHEN FUSS UND TAG

Biografisches Theater, Edition Smidt, 2005

Godehard Lietzow:
Zwischen Tag und Tag verlor ich mich – beglückt – in das Biografische Theater der Gisela Zies, in sprachpackende Lesetexte, vorrangig, doch nicht nur für Frauenstimmen gedacht, gedichtet, intoniert. Empfindsam und präzise focussiert, fängt der facettenäugige Denkblick der Autorin die Gestalten ein. Bühnengestalten, nein: Sprachgestalten, die aus biografischen Knospen erblühen, lebensstrahlend im Sieg und im Siegverzicht. Frauen – Denkerinnen, Künstlerinnen, schicksals- und lebensbereite Kämpferinnen, glühende Solitäre. Meine Favoritin, mein Liebling wurde die Gestalt der Emily, die sich so kraftvoll aus der biografischen Schale von Emily Dickinson erhebt. Der Text ZWISCHEN FUSS UND TAG, mit dem sie geboren wurde, ist schönste Dichtung, komplex und klar zugleich, ist dichterisches Sprechen auf höchstem Niveau: über Schönheit, Wahrheit, Leben, Tod, Grenze und Überschreitung. Dank für dieses kleine Meisterwerk!

 

Illustration zum Theaterstück Zwischen Fuß und Tag von Gisela Zies, Berlin

ZWISCHEN FUSS UND TAG

Ein Monolog über Emily Dickinson (1830-1886)

In: Zwischen Fuß und Tag, Biografisches Theater, edition Smidt, 2005
Autorenlesung: Galerie Futura, Februar 2006
Lesung: Wolff’s Bücherei, mit Hildegard Schroedter, Gisela Zies, März 2006

Textprobe:

EMILY: Ich habe es nicht nötig, zu verreisen, muss das Paradies nicht irgendwo suchen, es ist ganz nah draußen und tief drinnen in meiner Seele. Dorthin sind die Reisen alles andere als leicht, äußerst mühsam sogar. Doch wenn mich nachts ein Schmerz über die Ich-Grenze hinaus ins Nichts wirft, erschaffe ich mir einen Raum aus Worten, in dem ich mich frei bewegen kann. Er ist meine Heimat, geheimnisvoll und unzugänglich.

Ich werde weitersingen! / Auch wenn der Sänger Zug längst auf dem Weg nach helleren Hainen / ein jeder mit seiner Drosselsehnsucht / ich mit blutender Kehle und meinen Reimen. / Auch wenn es Spätsommer schon / ich singe mit vollerem Ton! / Mittag und Nachmittag sind des Vormittags Kind! / Eine Abendglocke süßer als frühes Gebimmel! (Übersetzung Zies)

Manchmal frage ich mich, ob Zeit und Raum wie Fuß und Tag überhaupt einen Sinn haben. Jedenfalls keinen wie Kuchenbacken. Vater aß Kuchen nur, wenn ich ihn gebacken hatte, am besten schmeckten ihm mein Rosinenkuchen und mein Ingwerbrot. Manchmal habe ich sogar für die Nachbarn gebacken, bunte Kekse, in denen ich verschlüsselte Nachrichten versteckte, die im Städtchen schnell einen Sammelwert hatten. Die unverständlichsten wurden am höchsten gehandelt.

 

Szenefot aus dem Theaterstück Die Weiße Rabe von Gisela Zies

DIE WEISSE RABE

In: Zwischen Fuß und Tag, Biografisches Theater, edition Smidt, 2005

Produktion: Ingrid Ernst, Modernes Theater, Berlin 1993
Inszenierung: Modernes Theater (Regie Michael Ritz), mit Ulrike Kitzing und Viola Morlinghaus
Inszenierung: Chance Theatre, Berlin 1994 (Regie: Doris Heiland), mit Ute Lubosch, Martina Scherf

Aufführungen: Café Theater Schalotte, Kunstfabrik Schlot, 1994, Potsdamer Werkstatt-Tage, 1995

Stephan Salomon: Am Anfang des Stücks sagt DIE RABE: «Quand même!». Ich möchte - quand même - die wahrscheinlich falsche Frage stellen: «Wie jüdisch ist ein Dialog?» Meine Antwort: «Wenn er ein fordendes, förderndes Wechselgespräch ist, intellektuell-dramatisch, um die Gedanken weiter zu bringen.» Zwei Schauspielerinnen erzählen durch ihre rhetorische Beziehung die Lebensgeschichte der Schauspielerin Sarah Bernhardt, zeigen die Bernhardt in ihren äußeren Umrisslinien, in ihren inneren Verwerfungslinien. DIE RABE schickt das Licht ihres inneren Scheinwerfers nach außen, um sich selbst zu erkennen, SWAN folgt diesen Strahlen, um sich die äußeren Zusammenhänge klar zu machen, objektiviert, versteht aber die seelischen Nöte DER RABE nicht. Durch die Aufmerksamkeit der Zuschauer verweben sich die beiden Personen zu einer.
Morgenpost: Viola Morlinghaus und Ulrike Kitzing gelingt auf der Bühne ausgezeichnet: die Selbstinszenierung der Sarah Bernhardt auf der Bühne.
Johanna Woerdemann: Ich bin beeindruckt von der Leichtigkeit und dem Witz, mit dem der Text das schwierige Verhältnis von Künstlichkeit und Realität, von Kunstfigur und biografischer Person anschaulich macht.

Textprobe:

RABE: Wieder einmal brauste unser Sonderzug durch die USA, Richtung New Orleans. Plötzlich Stop!
SWAN: Der Stationsvorsteher warnt uns davor, die nah gelegene Brücke zu überqueren.
RABE: Vergiss nicht, alle Vorstellungen in New Orleans sind ausverkauft!
SWAN: Du veranlasst den Beamten, der Ehefrau des Lokomotivführers 2500 Dollars zu überweisen und verpflichtest dich schriftlich, dass seiner Frau und den Kindern im Fall eine Unglücks eine Rente auszuzahlen ist.
RABE: Wir fahren weiter! Wir überqueren die Brücke.
SWAN: Unter uns der tobende Strom.
RABE: Er hat die Ufer überspült! Er nagt an den Brückenlagern!
SWAN: Schwesterlein, wir ersaufen!
RABE: Schwesterlein, wir sind drüben!
SWAN: Hinter uns kracht die Brücke entzwei. Beide Enden hängen im Wasser.
RABE: Wir werden pünktlich im Theater sein!

Textprobe:

RABE: Keine einzige Menschenseele weit und breit, alles nur Ungeheuer! Stell dir große träge Schmetterlinge vor, die mich umflattern, es lohnt nicht, sie ins Netz zu locken. Es sei denn, es bliebe ein wenig Goldstaub an meinen Fingern kleben. Na, war ich jetzt jüdisch genug?
SWAN: Großmutter Bernhardt würde sagen: Nein!
RABE: Oma Van Hardt war eine Orthodoxe!
SWAN: Sie verachtete unseren Lebensstil!
RABE: Ihrer langweilte uns! Oma war spießig!
SWAN: Neuste Nachrichten! Neuste Nachrichten! Die Bernhardt bei Zola. Der große Dichter und die große Schauspielerin machen mit den Juden gemeinsame Sache!
RABE: Seziert sie!
SWAN: Diese Spitzel!
RABE: Synagogenläuse!
SWAN: Was ist das Andere, auf das sie Steine werfen?
RABE: Und mein Sohn auf der falschen Seite!
SWAN: Wir werden ihn mit Schweigen bestrafen.
RABE: Er hasst es, wenn wir schweigen.
SWAN: Er schmollt.
RABE: Na und?
SWAN: Ich bewundere die Bernhardt!
RABE: Na und?
SWAN: Sie heilte mit Künstlichkeit die Wunden, die die Natürlichkeit schlägt.
RABE: Wie gewählt sie sich ausdrücken kann!
SWAN: Sie war eine wunderbare Schauspielerin!
RABE: Ja ja!
SWAN: Aber sie war /
RABE: /sag es nicht!
SWAN: / eine Krähe!
RABE: Ein Schwan!
SWAN: Paradiesvogel!
RABE: Pigeon!
SWAN: Turteltaube!
RABE: Dreckfink!
SWAN: Rabe!
RABE: Sarah!
SWAN: Bernhardt!


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