Gisela Zies

Theaterstücke


Illustration zu dem Theaterstück Judith von Gisela Zies, Berlin 

JUDITH oder JEDE ZU SEINER ZEIT

Personen:

Gesche Ewers
Judith (ihre Tochter)
Liebhild Ewers (ihre verwitwete Schwiegertochter)
Isgard Hansen (ihre Nichte),
Hanno Jäger (Freund der Familie)
Anna (ein junges Mädchen), Holewski

Zeit und Ort:

1945, eine Kleinstadt in Südniedersachsen

Wend Kässens: Sollten Sie die Rechte für JUDITH noch nicht vergeben haben, so wäre ich für eine kurze Nachricht dankbar … Der Text hat eine große Dichte und sehr starke atmosphärische Momente. Ich sehe ihn allerdings eher als Film realisiert, denn als Theaterstück. Aber warum soll man nicht beides versuchen? Mir ist klar, dass es sich bei dem Stück nicht um modische Geschichtsbewältigung und nicht um ein neues Kapitel zur Emanzipationsdiskussion auf dem Theater handelt. Ich sehe eher eine Nähe zu den Frauen in Marieluise Fleißers Texten und Stücken. Ich möchte hier noch keine Kritik äußern, allerdings meine ich, dass an dem Text noch gearbeitet werden sollte. Suhrkamp Theaterverlag, 1980

Inhalt:

Doris Janshen in: Frauen zwischen den Zeiten, Beltz 1982
Die Geschichte der JUDITH von Gisela Zies beginnt im deutschen Faschismus. Wir lernen Judith als 18jährige kennen. Mit drei anderen Frauen versteckt sie sich im Wald. Holewski, ein früherer polnischer Fremdarbeiter, tritt den Frauen just in dem Augenblick in den Weg, als Judith ausruft: «Ich heirate nie!» In einer Höhle im Wald hat Judith ungewöhnliche Dinge versteckt ... einen Dolch, einen Helm, einen Gürtel. Insignien männlicher Gewalt, die sie in ihre Identität eingeschlossen hat. Aus dieser Verquickung entfaltet sich das traurige Heldentum dieser Figur. Zehn Jahre später treffen wir Judith wieder. Immer noch entschiedene Außenseiterin, immer noch auf dem Land lebend, immer noch mit Selbstbewusstsein, unverheiratet. Doch sie hat Sehnsucht, träumt von Unabhängigkeit in einer Großstadt und trägt eine unausgetragene, ja kaum eingestandene Liebe zu Holewski in sich. Jener hat sich inzwischen um Karriere bemüht, betreibt ein kleines Foto-Geschäft, will reich werden. Dass er sich von einer reichen Frau aushalten lässt, ist ein kleiner Beitrag dazu. Judith und er sind ein Kaliber, wie eine andere Figur einmal sagt. «Verstehst du, dass ich ihn hasse? Weil ich ihn lieben will!» So Judith zu einer Freundin. Holewski stößt sich an Judiths spröder Weiblichkeit und geht mit einem anderen Mann die Wette ein, sie auf ihre wahre Natur bringen zu können. Allein es geschieht Liebe. Doch diese Liebe findet nicht ihren Ort, weil beide ihre Zeit noch nicht gefunden haben. Judith: «Wir leben nicht in unserer Zeit. Wir reden von ihr, aber wir meinen den Ort. Keiner versteht, wie kreuz und quer wir in der Zeit geteilt sind, in viele verschiedene Zeiten ... du und ich sind nicht alt wegen unserer dreißig oder vierzig Jahre, wir sind alt wegen der Jahrhunderte.» Zwar spürt auch Holewski den Wandel, der sich in ihm vollzieht, aber er hat seine Zeit und gewinnt weitere hinzu. «Ich habe mich! Das ist keine Idee, die kommt, um auch nur irgendwen zu erlösen. Und sie hat keine Geschichte. Sie ist nichts, das schon einmal war. Sie ist nur sie selbst. Ich bin von nichts der Anfang und das Ende. Außer von mir selbst! Holewski kann Gefühle zulassen, die Judith nicht mehr hat: «Immer die gleichen wenigen Gefühle, mehr habe ich nicht. Wie sie kleben ... dieses lächerliche Dafürsein, warum werde ich es nicht los?» Später, fast am Ende des Stücks: «Kneif mich, ich habe schon lange kein Gefühl mehr gehabt, ich liebe dich!» Judith ist durch sich selbst bedroht. Und bedroht Holewski, der sie will. Er flieht und tötet sich selbst. Das Stück endet mit Judiths Satz: «Ich habe mein Jawort nicht gegeben!»

Textprobe:

JUDITH: Geh! Bleib! Du hackst nach mir? Pfui! Diese Plünnen, diese Schminke! Gehört sich das für ein Gesicht? Mich ekelt vor mir, mir Fratzenfratze! Siehst du, wie bunt ich bin? Und meine Hände! Ich will baden!
GESCHE: Ich bringe dich zu Bett!
JUDITH: Weißt du, meinen Kopf hat er nicht treffen können, weil der mehr Gedanken hat als seiner. Nur da, wo ich ein Tier war, wo ich schnurrte, fauchte und schrie, da traf er mich!
GESCHE: Anna sagt, er hätte nicht einmal mit ihr getanzt, nur für dich Augen gehabt. Wo bist du hin? Er sei in Richtung Wald, habe gerufen, dass er für immer abhaut. „Kenn ich,“ sagte sie, „morgen kommt er wieder angekrochen.“ Doch diesmal sei er wirklich wütend gewesen. Was war los?
JUDITH: Er war der einzige ehrliche Widerspruch zu mir. Ich habe ihn umgebracht
GESCHE: Du gehörst ins Bett!
JUDITH: Stell dir vor, wie ich dastehe, den Körper strecke, darüber den Arm! Und auf der gespreizten Fläche meiner Hand eine große silberne Schale! Der Mond webt mir Brokat ins Kleid, mein Ausschnitt ist tief, ich lege meinen Stolz wie eine Perlenkette über die Brüste und schreite aus dem Wald, aufrecht den Weg runter zur Stadt und schreie es hinaus: Der Kopf gehört einem Feind! Nicht wahr, Muttchen, wo sonst wäre Gemeinschaft, wenn nicht in der Gemeinsamkeit gegen einen Feind?
GESCHE: Du gehst jetzt sofort ins Bett! Kein Widerwort, oder ich werde böse!
JUDITH: Wie vor zehn Jahren, wieder die gleiche ruhige Angst, und genau dort lag er, und wieder wollte ich einen anderen Tod aus dem machen, der da gerade vor mir geschah. Ich zog ihn in mein Versteck, trennte den Kopf vom Leib ... verstehst du? ... damals sprengten sie die Höhle ... bring mich ins Bett!

 

Illustration zu dem Theaterstück Solveig wartet nicht mehr von Gisela Zies, Berlin 

SOLVEIG WARTET NICHT MEHR

Personen:

Solveig, Henry, Holdeway, Karlowitsch, Alter Mann, Mädchen, Senn, Ingenieur,
Frau mit Plastiktüte

Ort und Zeit:

1988. Ein Wald. Vor einer Wellblechhütte auf großer Höhe. Eine Müllkippe am Dorfrand.
Ein Kartoffelladen. Ein Thronsaal.

Inhalt:

Die alte Solveig und ein junges Mädchen beschließen, ihre Berghütte zu verlassen und ins Tal auszuwandern. Unterwegs – während die Alte jung und die Junge alt wird – begegnen sie Forschern, die den Wald auf seine bessere Nutzbarkeit hin prüfen. Solveig versucht mit Gewalt, ihnen das Handwerk zu legen. Dann führt der Abstieg die beiden Frauen über eine dörfliche Müllkippe, in einen städtischen Kartoffelladen und in einen imaginären Thronsaal. Dort treffen wir auf eine junge Solveig und eine alte Frau.

Textprobe:

SENN: Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
MÄDCHEN: Nicht ich habe Geburtstag! Sie!
SENN: Vater sagte, ich soll dir zum Siebzigsten gratulieren!
SOLVEIG: Nicht mein Siebzigster! Ihrer!
SENN: Kann man ja sehen!
SOLVEIG: Frechdachs! Nichts kannst du sehen!
SENN: Ich sehe, dass du jung bist!
SOLVEIG: So jung wie du?
SENN: Zweimal sieben plus zwei!
SOLVEIG: Ich habe keine Volksschule besucht, kann weder Einmaleins, noch Malnehmen, noch Teilen.
MÄDCHEN: Kommen Sie, Karlowitsch! Setzen Sie sich zu mir! Was macht die Gesundheit?
KARLOWITSCH: Ich habe getan, was Sie mir geraten haben, habe Walnussöl erhitzt, Teufelskralle geröstet, Salbei und Zitrone dazugetan, mich nackt auf den Boden gelegt und mich mit dem Zeugs eingeölt.
MÄDCHEN: Na na! Das ist kein Zeugs!
KARLOWITSCH: Verzeihung, ich weiß kein besseres Wort. Geben Sie mir eins!
MÄDCHEN: Mädebittercreme!
SOLVEIG: Kuckuckssalbe!
MÄDCHEN: Güldenblattöl!
KARLOWITSCH: Kussmilchbutter?
MÄDCHEN: Bravo! Sie sind ein guter Schüler, Karlowitsch! Ich werde sie versetzen!
KALOWITSCH: Wohin?
MÄDCHEN: Stückchen für Stückchen.
KARLOWITSCH: So?
MÄDCHEN: Ja, so!
KARLOWITSCH: Noch’n Stück?
MÄDCHEN: Ja! Das ist gut!
SOLVEIG: (zu SENN) Siehst du, wie es die Alten machen?
SENN: Das können wir besser!
SOLVEIG: Aber sicher!
SENN: So?
SOLVEIG: Noch ein Stückchen!
SENN: So?
SOLVEIG: Ja so! ... Mehr!
SENN: Noch mehr, wäre vielleicht ein bisschen zu viel!
SOLVEIG: Zuviel wäre gerade genug für mich!


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